Kontaktabbruch mit Eltern,Mutter jetzt krebskrank. Was tun?

Hallo liebe Community!

Ich bin 35 und w, ich hatte jetzt vier Jahre mit meinen Eltern keinen Kontakt, es endete im Streit.
Vor kurzem erhielt ich dann eine Email meines Vaters der mir schrieb, dass meine Mutter Krebs hat und in Chemo ist, direkt gepaart mit dicken Vorwürfen so das direkt klar war: ER will ganz sicher keinen Kontakt mit mir.

Ich habe mich trotz der unverschämten Nachricht dazu durchgerungen, ihn zu kontaktieren um mit meiner Mutter Kontakt aufnehmen zu können. Nun habe ich wieder etwas Kontakt mit meiner Mutter und habe sie auch schon ein Mal besucht, sie hat sich auch sehr gefreut darüber. Ausgesprochen haben wir uns (noch?) nicht, der Zeitpunkt passt jetzt einfach nicht. Aktuell ist sie Zuhause und es geht ihr lala, sie ist verständlicherweise immer mal schlapp und Haushalt etc. kann sie nicht machen und darf auch nicht raus, abgesehen von Arztbesuchen. Alle Pflichten etc hat wohl meine Schwester übernommen, mit der ich auch keinen Kontakt mehr habe. Mein Vater macht nichts und war ebenfalls Monate lang nicht draußen, bei ihm ist es eine Mischung aus diversen Krankheiten und auch Faulheit, schließlich wuppt meine Schwester ja alles für ihn und meine Mutter inkl Wäsche, Putzen, Post, Einkauf etcpp

Nun möchte ich meiner Mutter auch unter die Arme greifen, als nur mal telefonieren oder besuchen. Und auch besuchen möchte ich sie öfter.
Jetzt kommt das ABER: ich fühle mich vollkommen überfordert mit allem. Ich bin selbst psychisch erkrankt und überhaupt nicht stabil. Ich wohne 40km von ihr entfernt ohne Auto und Geld und weiß nicht, wie und was ich tun soll. Ich wollte mir trotz knapper Finanzen das 49€ Ticket holen, aber ich habe Panik, alleine Bahn zu fahren (Habe eine Angststörung). Da habe ich dann direkt ein schlechtes Gewissen weil ich denke: "Deine Mutter hat Krebs und du schaffst es noch nicht Mal dich in die Bahn zu setzen, du Versagerin!" Mein Freund, mit dem ich lebe, fährt mich ab jetzt ab und zu mal zu meiner Mutter, er geht allerdings nicht mit und wartet dann im Auto. Das geht also nicht ständig und nicht lange. Er unterstützt mich zwar in der Sache, meint aber, dass das alles ohnehin nichts wird und es irgendwann zwischen mir und meinem Vater knallen wird, wenn ich öfter da bin. Ich weiß gar nicht, wie ich mich verhalten soll und spüre irgendwie Trauer, Wut, Hilflosigkeit, Angst, Hoffnungslosigkeit und auch unheimlichen Druck.

Ich weiß auch nicht, was ich mir von euch erwarte. Vielleicht hat jemand einen Denkanstoß?
Danke an die, die tatsächlich bis hier gelesen haben!

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Deiner Mutter hilft bestimmt, dass du wieder Kontakt mit ihr hast.
Keine Mutter verliert gerne ihr Kind.

Ich würde vorschlagen, du telefonierst einfach oft mit ihr, redest mit ihr, zeigst Anteilnahme, fragst sie, wie es ihr geht, erzählst von dir.
Schicke vielleicht auch mal Fotos.
Das allein kann schon eine große Unterstützung für deine Mutter sein - wenn du emotional für sie da bist. Du musst nicht unbedingt "vor Ort" sein, um sie zu unterstützen.

Und bemühe dich weiter um einen Therapieplatz. Denn nur wenn es auch dir gut geht, kannst du anderen helfen.

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Vielen Dank für diese Worte! Das mache ich bereits und sie freut sich immer, wenn ich anrufe. Auch sie hat sich schon von sich aus gemeldet. Der Kontakt tut uns beiden spürbar gut, auch wenn es nur am Telefon ist.

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Ich würde das mit deinem Psychologen besprechen, den hast du ja mit deiner psychischen Erkrankung wahrscheinlich.

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Nein, habe ich nicht. Die Erkrankung bestand Jahre unerkannt und ist dann in der Hochphase der Pandemie diagnostiziert worden. Seitdem stehe ich auf Wartelisten ohne Ende, in eine Klinik möchte ich nicht. Eine Zeit lang nahm ich Medikamente über meinen HA, aber richtig geholfen hat das nicht.

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Hallo du

Wenn du deiner Mutter helfen möchtest, ist es oberste Priorität, dass es dir gut (damit) geht.
Psychische Erkrankungen sind genauso ernstzunehmende Erkrankungen wie eine Krebserkrankung.
Und du bist keine Versagerin, nur weil du, für andere selbstverständliche Dinge nicht schaffst.
Vielleicht solltest du mal den Weg zu einem Psychiater einschlagen. Die sind mit solchen Sachen besser vertraut als ein Hausarzt. Es gibt auch Tageskliniken und psychiatrische Ambulanzen, wo man dir helfen kann.

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Danke für diese Worte und auch den Tipp! Das es mir gut gehen muss, weiß ich irgendwie, aber ich habe die Tendenz mich ganz hinten anzustellen und sofort ein schlechtes Gewissen zu haben, wenn ich für andere nicht das tun kann, was ich annehme was sie von mir erwarten/erhoffen.

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Hallo Eulchenmitbeulchen,

erstmal ein Trost in Gedanken für dich und meine Erfahrung. Meine Erfahrung, was es heißt die eigene Mutter durch eine Chemo zu begleiten. Ich war gerade mal Anfang 20, über drei Jahre später war ich immer noch im Glauben, dass sie diese Krankheit überstehen wird. Selbst dann noch als ihre Hand immer kälter wurde (ich habe sie auch im Sterben begleitet).
Und Verhältnis ist super kompliziert und schwierig gewesen.
Aber ich habe mich wortwörtlich aufgeopfert und mein Leben auf Stillstand gestellt.***

Hier mein Rat an dich:
Niemand wird dir diese Entscheidungen abnehmen können. Diese ganzen vielen kleinen Entschiedungen, die sich bei einer Chemo ergeben.
Kann ich heute da sein? Wie wird es ihr gehen? Kann ich das aushalten? Wie wird sie mich sehen? Helfe ich genug? Was kann ich noch tun?
Dieser eine Moment, wenn dir klar wird: Deine Mutter leidet gerade wie du noch nie jemanden hast leiden sehen.
Bei mir war das ein ganz unauffälliger Moment. Sie sah wunderschön aus. Die Perücke so perfekt, die Kleidung, das Make-Up, alles an ihr wirkte wie ein gesundes Leben, das sie stets auch führte. Aber ihre Augen....
Ich kann nicht mal genau sagen, was ich in ihren Augen sah. Es war nicht Traurigkeit, keine Wut, kein Frust, aber auch nichts glückliches, keine Hoffnung. Am ehesten würde ich ihre Augen (nicht ihren Blick) in dem Moment als Hilflosigkeit und Ohnmacht beschreiben.
Ich werde diesen Moment nie vergessen. In diesem Moment habe ich zum ersten Mal wirklich erkannt: Sie könnte sterben, doch wahrhaben wollte ich es nicht.

Aus Angehörigen-Gruppen weiß ich, dass es viele gibt, die so einen Moment erleben.
Ich war auch noch zu Lebzeiten meiner Mutter bei einer Psycho-Onkologin. Sie hat mir wertvolle Ratschläge gegeben, auf die ich dann doch nicht hörte.

Mein Fazit, aus meiner ganz eigenen Geschichte:
Meiner Mutter so beizustehen, wie ich es tat, ist das beste und das schlechteste, was ich hätte tun können.
Es hat mich gestärkt und ganz viel Frieden in unsere Beziehung (und so auch nachträglich in mir) geschafft - und es hat meine Seele weiter zerstört.
Ich bereue nicht eine Sekunde, dass ich mich dem Prozess nicht entzog. Ich würde es aber nie wiederholen.
Bis heute bin ich immer wieder in therapeutischer Behandlung und bis immer werde ich all jene Erfahrungen mit mir tragen. Unabstreitbar haben diese Erfahrungen etwas mit mir gemacht, was positiv bestehen bleibt und negativ in mühevollster Arbeit verändert werden kann.

"Weißt du, warum Deine Mudda-Witze nicht aussterben? Weil jeder Mensch eine Mutter hat, und zwar nur eine" Das sagte mal ein Gruppen-Angehöriger und unter dieser Annahme kann jeder nur für sich selbst entscheiden, wie man mit Krebs und Chemo Behandlung umgehen möchte. Es gibt kein Falsch, sondern nur ein Richtig und das ist das, was du (evtl. in Rücksprache mit deiner Mutter, nicht mit deiner Familie) als richtig empfindest.
Das ist meine feste Überzeugung.

Ich wünsche dir sehr viel Kraft, egal welchen Weg du gehen wirst.

Das waren jetzt nur meine Erfahrungen, ergänzt mit denen einiger anderer Betroffenen.


***Wahrscheinlich habe ich eher die Rolle deiner Schwester angenommen. Daher möchte ich dir noch etwas Kontext geben. Ich habe ältere Geschwister, die jedoch nicht das leisten konnten, was ich bereit war aufzugeben. Ich habe ings. 6 Urlaubssemester als angehörige Pflegekraft einlegen können. Diese Option gab es für meine älteren Geschwister nicht.
Unser Vater starb als ich noch ganz jung war. Wir haben eine (Halb-)Schwester, die kurz nach der Diagnose eingeschult wurde und nach dem Tod in der familiären Obhut blieb. Dafür änderte ein Geschisterteil wiederrum sein ganzes Leben.
Es war bis dahin aber schlichtweg niemand da, der die Betreuung und Begleitung hätte übernehmen können.
Was wir jedoch - trotz aller Schwierigkeiten in unserem komplexen Familiengefüge - direkt geklärt haben: Keine Vorwürfe! An absolut niemanden! Das halten wir Geschwister heute immer noch so. Selbst damals nicht aus Selbstliebe oder unserer Mutter zu Liebe, sondern aus Liebe zu unserer kleinen Schwester, die sich zu einer wunderbaren Frau entwickelt hat, trotz unserer Familie.
Das ist also ein vollkommen anderer Kontext als bei dir. Doch die Folgen einer Chemo sind und bleiben die Folgen einer Chemo. Sich darauf vorzubereiten ist in meinen Augen unmöglich. Umso mehr, dass du wie ich auch nicht stabil bist.

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Erst einmal ein ganz herzliches Danke für diesen wahnsinnig langen und sehr emotionalen, intimen Beitrag. Ich schätze das sehr! Ich hatte ein paar Tränen in den Augen beim Lesen. Er hat mich sehr berührt. Ich denke auch, dass ich noch gar nicht begreife, was mich alles erwartet und ich habe echt Angst. Der Weg vor mir ist ungewiss.

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Danke auch zurück.

Ich hatte auch Angst, wahnsinnige Angst. Vor allem Angst, etwas falsch zu machen, etwas zu übersehen, zu vergessen. Etwas, was dann nie wieder gutzumachen ist.
Meine Mutter war ultraschwierig, aber mit der Geburt unserer Schwester wollte sie, wie sie selbst sagte, es "besser machen". Das veränderte sich mit der Geburt unserer Schwester.

Rückblickend würde ich sagen, dass dieser Lebensabschnitt, meine 20er, unter der Überschrift "Richtig, aber trotzdem nicht gut! ODER Gut, aber nicht richtig!" läuft. Aber da steckt so viel, viel (Therapie-) Arbeit hinter. Zu wissen, dass ich mir später verzeihen kann oder um Verzeihung bitten kann, hat mir in akuten Notlagen oft geholfen.

Vielleicht auch total anmaßend, aber bitte wirf auch einen Blick auf deine Schwester. Wenn sie wirklich ALLES alleine managt und einen Vater, der das Haus nicht verlässt. Ganz ehrlich, entweder hinterlässt das Schäden oder es wird über eine gewisse Zeit hinweg fast schon unaushaltbar für sie.
Was auch immer euer eigener Konflikt ist- es tut mir wirklich so leid, das zu lesen. Ich kenne das so sehr und reagiere deshalb über-emtional... Ich hätte mir gewüscht, meine Brüder hätten mich zurückgehalten. Sie haben auch Aufgaben abgenommen. Was die Krebsbehandlung und unsere Schwester betrifft, klare Absprache von Anfang an: diese Themenbereiche stehen für sich und da gibt es keinen Streit, keine Vorwürfe. Ist zwar trotzdem mal passiert zu Beginn, aber wir konnten normal reden. Das ist einer der größten Gewinne aus dieser Zeit für mich!

Bitte mach auch mal Gedankenpausen. Die Anfangszeit ist besonders anspannend. Selbst bei gesunden Menschen in intakten Familien.

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Du schuldest deinen Eltern überhaupt gar nichts, "nur" weil deine Mutter Krebs hat.

Ich kenne die Gründe nicht, die zum Kontaktabbruch geführt haben, aber im Regelfall kommt der Kontaktabbruch ja, weil man nie wieder etwas mit dieser Person zu tun haben will.

Wenn dir der Besuch/Unterstützung gut tut, mache es. Ansonsten lass es bitte.

Bei mir war der Fall etwas anders und meine Mutter hat während ihrer palliativen Krebsdiagnose den Kontakt abgebrochen (der war allerdings schon vorher von ihr ausgehend sehr schlecht). Ich weiß allerdings deshalb, dass du höchstwahrscheinlich gerade einfach absolut überfordert bist. Ich würde das Geld gerade ehrlich gesagt lieber in einen Psychologen als ein Bahntiket investieren und erörtern, was hinter deinem plötzlichen Bedürfnis Kontakt zu haben steht und wieso das, was dich 4 Jahre vom Kontakt abgehalten hat, jetzt plötzlich wieder nicht so wichtig für dich ist. Ich wünsche dir alles Gute.

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Das ist tatsächlich eine sehr gute Frage, was mich zu ihr zurück führt. Wenn man ehrlich ist, eigentlich ja "nur" die Erkrankung. Ohne sie hätten wir auch keinen Kontakt. Das muss man ehrlich so sagen. Ich muss irgendwie versuchen, mich selbst nicht zu verlieren und zu spüren, was mir gut tut. Aber das ist so schwer und erst Recht jetzt, denn das alles ist noch nicht so lang her jetzt und ich bin noch gar nicht richtig in der neuen Realität angekommen!

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Das tut mir sehr leid.
Ich würde deinem Vater zurück schreiben dass Einigkeit besteht und du mit ihm keinerlei Kontakt wünscht, wär mir schei*egal wie er den haushalt und co. Wuppt. Nicht dein bier. Keine Erklärungen einfache Aussage. Was den Kontakt zu deiner Mutter angeht, hat sie ein Smartphone? Könnt ihr Facetimen?
Bezüglich deiner angststörung. Geh es an. Es gibt wirklich gute medis die auch akut wirken. Hast du ausser deinem Freund Menschen die dich bei einer Fahrt unterstützen würden?

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Danke für dein Mitgefühl! Meinen Vater lasse ich komplett außen vor, das wird nichts mehr. Es geht mir einzig um meine Mutter. Ja, sie hat ein Smartphone seit kurzem und ich rufe auch nur dort an. Ich habe leider außer meinem Partner und seinen Eltern niemanden, aber diese drei stehen 100% zur Seite.

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Die Besuche wo du gefahren wirst sind dich schon mal Gold wert. Sonst telefonieren und teamsen.

Und es gibt doch sicher auch viel zu organisieren, was di von daheim managen kannst (Termine, Lieferservice, Krankenkasse Schriftwechsel usw.).

Vielleicht kannst du auch für deine Eltern vorkochen / einfrieren und immer mal was mitnehmen, wenn du hin fährst.

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Vielen Dank für diesen Input, das ist ein sehr guter Vorschlag!

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Nicht einfrieren, einkochen. Da hilfst du evtl noch ein bisschen mehr. Etwas, was sie einfach aufschrauben muss. Wo sie nicht darüber nachdenken muss, was esse ich heute Abend, sondern wenn das geplante Essen ausfällt, dann Glas aufschrauben, erwärmen, fertig. Geht in 10 min.

Ist ganz einfach und wenn du einen großen Topf hast, kannst du das machen.

Hätte ich das damals bei meiner Mutter schon gewusst, dann hätte sie nicht die Babygläschen essen müssen. Was für die Psyche auch nicht so geil war. Denn wenn sie überhaupt mal Hunger hatte, dann musste es schnell und ohne Aufwand gehen.

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Hm, ich war in einer ähnlichen Situation wie du (Mutter krebskrank, kurze Prognose, über Jahre immer wieder Kommunikationsprobleme und Missverständnisse).
Bei mir war es so, dass ich die Begleitung schon hinbekommen habe - war aber nicht alleine, hatte Geschwister dabei - und erst hinterher gemerkt habe, wie mich das geschlaucht hatte. Bei meiner Mutter war es so, dass sie stark bleiben wollte und nicht über die Krankheit reden wollte, stattdessen noch Gartenarbeit etc. gemacht hat und viel mit uns Essen war. Es hat aber für alle Seiten etwas gebracht, dass sie Begleitung hatte. Ich war meist mit bei den Chemos, bzw. dort, um sie abzuholen. Sie hat sich für die Chemos immer eine große Tasche mit Beschäftigung mitgenommen - Zeitschriften, Handy, Strickzeug.

Bzgl. Bahn: Könntest du jemanden fragen, ob er mal mit dir die Strecke fahren kann? Jemand, der auch das Ticket hat und vielleicht am Zielort auch etwas unternehmen kann oder irgendwo auf der Strecke auf der Rückfahrt aussteigen kann und etwas machen, das ihm Spaß macht?
Wenn du ein paar Mal mit Begleitung gefahren bist, ist die Strecke und das Bahnfahren viel gewohnter und entspannter für dich.

Meine Mutter musste auch im Alter eine Weile Bus fahren, die Strecke, die ich als Schülerin immer von zu Hause zur Schule gefahren bin. Dei erste Zeit war das sehr anstrengend für sie. Sie war dann erstaunt, dass ich bspw. im Bus schlafen konnte. Nach einiger Weile fuhr sie problemlos jeden Morgen mit dem Bus in die Stadt und behielt das auch bei, nachdem das Auto die größere Reparatur überstanden hatte und wieder verfügbar war.

Es ist wirklich nur eine Sache der Gewöhnung. Man muss die Haltestellen kennen, die Fahrzeit kennen, wissen, wann man sich fertig machen muss, um auszusteigen, wann man am Bahnhof sein muss, um loszufahren, wo das richtige Gleis ist.
Ich bin sicher, dass du das problemlos hinbekommst, wenn du vielleicht 10 mal von jemandem dabei begleitet wurdest. Die letzten Male solltest du vorangehen. Wenn man nur mitgeht, ist man oft verunsichert, wie man zum Gleis kommt oder vom Gleis zum Bahnhofausgang findet etc. Dann muss man sich einfach Zeit nehmen. Man darf sich auch mal verfransen, man kann immer jemanden fragen.

Zur Mutter noch: Es kann bereichernd sein, wenn du sie einfach bei entspannenden Tätigkeiten begleitest. Meine Mutter hat nachmittags immer diese ganzen Soap-Shows gesehen: Traumhochzeit, Shoppingqueen und noch eine andere. Sie war damit von 14/ 15 bis 18 Uhr beschäftigt. Ich fand die Shows furchtbar, saß oft erst mal mit meinem E-Reader dabei, aber irgendwann kam man doch ins Gespräch. Zwischendurch konnte man mal ein Getränk bringen oder etwas zu essen machen (wobei sie da noch sehr selbstständig war und sich beweisen wollte, was sie alles noch konnte). Wir haben das immer entweder im Wohnzimmer oder im Schlafzimmer gemacht. Also, sie lag dann im Bett und ich stand oder saß daneben.

Bei ihr war es bspw. so, dass sie oft sagte, wir sollten sie "mitziehen", also ohne uns wäre sie auf der Couch geblieben und mit uns hat sie sich dann aufgerafft, meist zum Essengehen. Das war zwar anstrengend, aber sie war dann mal rausgekommen, war unter Menschen gewesen, hatte etwas anderes gesehen. Oft haben wir sie wörtlich mitgezogen, indem wir sie zwischen uns genommen und eingehakt haben, so dass sie nicht ganz alleine laufen musste. Rollator, Rollstuhl etc. wollte sie natürlich nicht. (Wie gesagt - bei der Chemo wurde sie immer gefragt, was sie die Woche über gemacht hatte. Andere sagten "geschlafen, gelesen, mich ausgeruht", sie sagte "Gartenarbeit, Wohnzimmerwand gestrichen, Zimmer umgeräumt". Teils mit Hilfe, teils alleine. Ich denke, es hat ihr unheimlich Kraft gegeben, sich zu beweisen, dass sie noch etwas schaffen konnte.)

Oft ist es wohl so, dass Handhalten auch sehr hilfreich ist. Einfach wörtlich neben ihr sitzen und ihre Hand halten, etwas Wärme vermitteln, Nähe.

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Danke für das Teilen, wie du deine Mama erlebt hast. Das war sehr schön zu lesen.

ich hatte auch überlegt, etwas von konkreteren Symptomen zu berichten. Doch dann dagegen entschieden, weil Beitrag eh viel zu lang und dann habe ich auch erlebt, wie unterschiedlich krebserkrankte Menschen sich selbst fühlen.

Jetzt bin ich aber sehr froh, deinen Beitrag gelesen zu haben.

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Vielen Dank dir für diesen sehr detaillierten Beitrag und das du mich hast teilhaben lassen an deinen Erfahrungen! Das hilft ungemein!
Zum Thema Bahn: ich habe nicht viele Kontakte, eigentlich niemanden außer meinen Freund, der ja ein Auto hat. Er ist von der Bahn Idee nicht begeistert, weil er findet, ich stürze mich viel zu intensiv in die ganze Situation hinein und gehe damit (finanziell=Ticket und psychisch=Fahrt) damit total über meine Grenzen. Deshalb sind wir so verblieben das er mich unterstützt und hinfährt. Die Situation ist für uns als Paar auch total schwer und wenn ich jetzt noch ankomme und frage, ob er mit mir die Bahn Strecke übt...ohje!

Zu deinen Erfahrungen: Die sind goldwert für mich, auch wenn natürlich nicht alles 1:1 übertragbar. Allerdings beruhigt es mich, dass es scheinbar gar nicht nötig ist, jetzt alles an mich zu reißen und wer weiß was auf die Beine zu stellen. Sondern einfach Kontakt zu geben. Gestern telefonierte ich mit meiner Mutter und frage sie, ob ich beim nächsten Besuch vielleicht irgendwas für sie tun könnte. Sie sagte: "ach, ja, nee, irgendwas findet sich bestimmt...oder du bist einfach nur da!". Vielleicht reicht das im Moment einfach. Und mir geht es auch gut dabei.

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Mal eine Frage: Hättest du den Kontakt mit deinen Eltern bzw. mit deiner Mutter auch gesucht, wenn sie kein Krebs hätte? Es ist verständlich, dass man sich nach einem Kontaktabbruch wieder annähern kann, aber ich habe den Eindruck, du machst es nicht, weil dir was an den Kontakt liegt, sondern weil deine Mutter Krebs hast und du keine Schuldgefühle oder ein schlechtes Gewissen haben willst, falls die Krankheit tödlich enden sollte.
Auch dein Verfassung ist nicht die beste: du bist nicht in der Lage für dich selbst zu sorgen. Und mit dieser Ausgangslage willst du dich um deine Mutter kümmern?

Bearbeitet von Inaktiv
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Ich kanns nicht leugnen, da ist was dran, was du sagst! Es war damals allerdings so, dass ich von meinem Vater, der sehr herrisch ist und meine Mutter schon immer kontrolliert und beherrscht hat, aus der Familie geworfen wurde, weil ich nicht machte, was er gerade wollte. Meine Mutter hat das passiv geduldet und hat den Kontakt zu mir danach nicht mehr gesucht. Aber einen wirklichen Konflikt hatte ich mit ihr nicht. Ich habe nur nicht eingesehen, warum ich in der Bringschuld bin. Anrufen etc kann sie doch auch? So vergingen dann die Jahre, aber meine Mutter habe ich immer vermisst. Sie ist eben ein liebes, kleines Persönchen, die in ihrer Ehe kaputt gemacht wurde. Unser Verhältnis ist also belastet, aber eben nicht so kaputt wie das Verhältnis zwischen mir und meinem Vater.

Letztendlich kann ich das hier gar nicht alles so darstellen, wie es wirklich war, da könnte ich ja ein Buch schreiben. Ich versuche aktuell auf Bauch, Hirn und Herz zu hören und so zu handeln, dass ich selbst auf mich stolz sein kann und tue, was sich für mich richtig anfühlt. Ob es das ist, das weiß ich nicht und was es mit mir macht, werden wir irgendwann sehen.

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Die Entscheidung liegt bei dir, aber du musst auf deinen Seelenheil achten. Und such dir therapeutische Begleitung.

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